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JOURNAL ONKOLOGIE 02/2024

Das Potenzial von Bakterien in der Prävention und Therapie von Darmkrebs

Dr. rer. nat. Marion Adam

Das Potenzial von Bakterien in der Prävention und Therapie von Darmkrebs
© Steffen Kögler - stock.adobe.com
Viele Tumoren werden von Bakterien besiedelt und dies kann erhebliche Auswirkungen sowohl auf die Tumorentwicklung als auch auf präventive Maßnahmen und Therapiekonzepte haben. Patientenspezifische Gewebemodelle wie ­Organoide ermöglichen es, den Beitrag einzelner Krankheitserreger zur Entstehung von Darmkrebs (CRC) zu unter­suchen. In der laufenden DETECT-Studie wird analysiert, wie sich der Status der menschlichen Darmmikroben auf die Krebsentstehung auswirken könnte und welche Maßnahmen dagegen ergriffen werden könnten. Im Rahmen eines Presseworkshops des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zum Weltkrebstag 2024 stellte Dr. Jens Puschhof, ­Heidelberg, das Potenzial von Bakterien in der Prävention und Therapie von Darmkrebs vor.
100 Billionen symbiontische Mikroben bilden das Mikrobiom eines Menschen. Das sind mehr Mikroben als Sterne in der Milchstraße, erklärte Puschhof zu Beginn. Die Anzahl der Gene des Mikro­bioms ist 150x höher als die des menschlichen Genoms. Der Mensch besitzt 1,3x mehr Mikroben als menschliche Zellen. Bisher wurden mehr als 10.000 mikrobielle Arten am und im menschlichen Körper identifiziert. 95% dieser Mikroben befinden sich im Magen-Darm-Trakt. Das Mikrobiom im menschlichen Darm kann bis zu 2 kg wiegen. „Wir nehmen an, dass 90% der Krankheiten meist auf den Darmtrakt und die Gesundheit des Mikrobioms zurückführen sind“, erläuterte Puschhof. Auf 5 Viren in der Darmflora kommt ein Bakterium. Jedes einzelne Mikrobiom ist so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Da eine Vielzahl dieser Bakterien im menschlichen Darm vorkommt, ist das enge Nachbarschaftsverhältnis zwischen Tumor und Bakterien bei Darmkrebs für die Erforschung des Zusammenhangs von Bakterien und der Krebsentstehung von Vorteil. Im Kontext der Krebsprävention ist es von entscheidender Bedeutung zu beachten, dass das menschliche Mikrobiom kontinuierlichen Veränderungen unterliegt. Faktoren wie die Einnahme von Medikamenten oder eine veränderte Ernährung können das Mikrobiom signifikant beeinflussen und machen das Mikrobiom medizinisch zugänglicher und anpassbarer als die menschliche DNA, erklärte Puschhof. Die dynamische Natur des Mikrobioms bietet somit Angriffspunkte für Lebensstiländerungen und medikamentöse Therapien.

Das Mikrobiom und Krebstherapien

Seit etwa 10 Jahren werden Bakterien, die zuvor nicht mit Krebs in Verbindung gebracht wurden, hinsichtlich der Ursachen- und Präventionsforschung von Krebs mit zunehmender Bedeutung betrachtet. Im Bereich der Krebsimmuntherapien spiele die Interaktion des Immunsystems mit Mikroben für den Therapieerfolg eine entscheidende Rolle, so Puschhof. Bei der Immuncheckpoint-Inhibition bei Lungenkrebs wurde beispielsweise ein deutlicher Überlebensnachteil bei Patient:innen, die Antibiotika erhalten hatten, im Vergleich zu Patient:innen ohne Antibiotika gezeigt. Die Bedeutung der Mikroben-Interaktion spielt auch im Rahmen der CAR-T-Zell-Therapie eine Rolle. Auch hier zeigt sich ein signifikant schlechteres Überleben bei Patient:innen, die bestimmte Anti­biotika erhalten hatten. Diese Beobachtungen unterstreichen die Notwendigkeit, die Auswirkungen von Bakterien auf die Immunantwort gegen Krebs besser zu verstehen.
 
 
 

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Bakterien in der Krebsprävention

Das enorme Potenzial, infektiöse Agentien wie Viren und Bakterien in die Krebsprävention einzubeziehen, wird am Beispiel des Zusammenhangs zwischen humanen Papillomviren (HPV) und Gebärmutterhalskrebs sowie anderen Krebsarten veranschaulicht. Jahrzehnte nach dieser Entdeckung zeigt sich die Wirksamkeit von Impfungen gegen diese Viren bei der Prävention von Gebärmutterhalskrebs. Die Erkenntnis, welche Krankheitserreger Krebs verursachen können, könnte eine gezielte Früherkennung und Intervention ermöglichen. Ein weiteres Beispiel hierfür ist Helicobacter pylori (H. pylori), ein Bakterium, das Magenkrebs verursachen kann. Studien haben gezeigt, dass spezifische Antibiotika das Auftreten von Magenkrebs bei Patient:innen, die mit H. pylori infiziert sind, um 40-60% reduzieren kann. Beim CRC gehe es nun darum, zu untersuchen, welche Bakterienarten mit Krebs assoziiert sind, welchen Anteil sie an der Krebsentstehung haben und welche neuen Ansätze für Prävention oder Therapie möglich sind, sagte Puschhof.
 
 
 

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Organoid-Modell

Um die funktionelle Rolle von Bakterien bei der Entstehung von CRC zu untersuchen, bedarf es zunächst geeigneter Modelle. Es ist bekannt, dass Mäuse, Ratten und Menschen unterschiedliche Mikrobiome aufweisen, wodurch nicht jedes Bakterium effektiv im Tiermodell untersucht werden kann. Zudem gestaltet sich die Darstellung humanspezifischer Mutationsprozesse im Tiermodell oft schwierig. Ein Durchbruch, der vor 15 Jahren in den Niederlanden erfolgte, ist das Organoid-Modell, das eine Nachbildung von patientenspezifischem Gewebe ermöglicht. Aus Gewebeproben – aus Tumoren sowie aus dem umliegenden gesunden Gewebe von Patient:innen – werden Biopsien entnommen und im Labor vermehrt. Die daraus resultierenden Miniorgane, bekannt als Organoide, spiegeln sowohl den patientenspezifischen gesunden Zustand als auch den Krebszustand des Gewebes wider. Ein wesentliches Konzept in der Krebsprävention besteht darin, die bakteriellen Einflüsse zu untersuchen, die gesundes Gewebe schrittweise in den Zustand von Krebsgewebe überführen können. Für diese Experimente sind nicht nur Organoide erforderlich, sondern auch die Berücksichtigung der Bakterien. „Wir haben Proben von gesundem Gewebe, verschiedenen Darmkrebsvorstufen bis hin zu metastasiertem Darmkrebs von etwa 70 Patient:innen gesammelt“, führte Puschhof aus. Aus diesen Proben wurden Organoide erzeugt und die bakterielle Besiedelung der Tumoren und des gesunden Gewebes untersucht. Die Kombination dieser Komponenten ermög­licht es, wichtige Zusammenhänge zu klären, wie z.B. welche Bakterien in Metas­tasen vorhanden sind und wie frühzeitig diese bei Patient:innen nachweisbar sind. Auf diese Weise kann ein Zusammenhang hergestellt werden zwischen den Bakterien, die zur Metastasierung beitragen, und jenen, die möglicherweise eine Rolle bei der Krebsentstehung spielen, so Puschhof weiter.

Interaktion von Bakterien mit dem menschlichen Genom

Genetische Mutationen liegen fast allen Krebserkrankungen zu Grunde. Eine zentrale Frage ist, ob Bakterien eine Rolle bei der Entstehung solcher Mutationen spielen und ob sie einen nachweisbaren Einfluss auf das menschliche Genom hinterlassen können und somit zur Tumorentstehung beitragen könnten. Der Darm beherbergt eine Vielzahl von Bakterien, darunter auch Stämme von Escherichia coli (E. coli), von denen einige genotoxisch sind und eine charakteristische Genregion, die PKS-Insel (pks+ E. coli), in sich tragen. Diese genotoxischen Stämme produzieren das Molekül Colibactin, das an die menschliche DNA binden und Doppelstrangbrüche verursachen kann. Bisher war nicht bekannt, dass Colibactin spezifische Mutationen im menschlichen Genom induzieren kann. In einer Studie wurde ein genotoxischer Stamm von E. coli aus dem Darmkrebsgewebe eines Patienten isoliert. Durch Organoide konnte untersucht werden, wie die Zellen auf diese Bakterien reagieren. Über einen Zeitraum von 5 Monaten wurden diese Bakterien wiederholt in die Organoide injiziert, um die langfris­tigen Auswirkungen der Besiedelung mit diesen Bakterien auf das menschliche Zellgenom zu untersuchen. Nach dieser Zeit wurden die genomischen Veränderungen in den Zellen analysiert. Die Ergebnisse zeigten, dass sowohl die nicht exponierten als auch die exponierten Organoide eine breite Palette von Mutationen aufwiesen, aber nur diejenigen, die mit Colibactin behandelt wurden, entwickelten eine spezifische Klasse von Mutationen. Dies deutet darauf hin, dass Colibactin spezifische Mutationen im menschlichen Genom induzieren kann und während der DNA-Reparaturprozesse wirkt. 13% aller sporadischen Darmtumoren weisen solche Mutationen auf, die auch Colibactin hervorruft, was die potenzielle Bedeutung dieser Bakterien bei der Entstehung von Darmkrebs unterstreicht.

DETECT-Studie

Die Herausforderung bei Krebspräventionsstudien liegt in ihrer Langwierigkeit. Es ist äußerst schwierig, frühzeitig auftretende Mutationen nachzuweisen, die Jahrzehnte später zu Krebs führen können. Die derzeit laufende DETECT-Studie konzentriert sich auf eine spezifische Patientenkohorte: Kinder und Jugendliche, die von Geburt an eine Mutation im APC-Gen aufweisen, d.h. eine der beiden Genkopien ist inaktiviert. Da Coli­bactin spezifisch das APC-Gen beeinträchtigt, könnte eine Schädigung durch Colibactin in dieser Patientengruppe von besonderer Bedeutung sein. Diese ­Personen entwickeln, nahe­zu ausnahmslos, in ihrer Teenager­zeit verschiedene Polypen und werden daher regelmäßigen Screening-Untersuchungen unterzogen. Dadurch soll die Entwicklung der Darmmikroflora und der Mutationen verfolgt werden. Eine regelmäßige Probenentnahme des Mikrobioms auf den Polypen ermöglicht eine Analyse der mikrobiellen Zusammensetzung sowohl im gesunden Darmgewebe als auch auf den sich entwickelnden ­Polypen. Weiterhin werden Organoide in vitro angezüchtet, um Veränderungen im Mikrobiom im Laufe der Zeit zu verfolgen und die mikrobielle Diversität in den verschiedenen Geweben dieser Personen zu erfassen. Das Hauptziel der Studie besteht darin, den Zusammenhang zwischen der bakteriellen Besiedelung und der Gewebeumwandlung herzustellen. Zu diesem Zweck werden auch Stuhlproben gesammelt, um eine umfassendere Analyse durchzuführen.

pks+ E. coli: Mögliche Übertragungswege

Des Weiteren wird untersucht, woher diese Bakterien stammen und wie sie übertragen werden. Untersuchungen werden durchgeführt, um Strategien zur Verhinderung der Bakterienübertragung innerhalb von Familien zu entwickeln. Dazu gehören gezielte pränatale Untersuchungen bei Müttern, um eine frühzeitige Übertragung solcher Bakterien zu verhindern. „Wir wissen, dass diese Bakterien bei jedem Fünften im Stuhl nachweisbar sind, aber nicht jeder Fünfte erkrankt an Darmkrebs“, sagte Puschhof. Eine Studie aus Frankreich konnte am Mausmodell zeigen, dass Mäuse dieses Bakterium bei der Geburt an ihren Nachwuchs weitergeben, und dass in den ersten 2 Lebenswochen die meisten Schädigungen der Darmschleimhaut durch dieses Bakterium auftreten. Ob diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, ist nicht erforscht. Es ist wichtig zu verstehen, wie diese Bakterien erstmals in den Darm gelangen und wer diese Bakterien hat, aber keine Schäden davonträgt. Eine Patientenstratifizierung ist notwendig, um nicht jeden Menschen mit pks+ E. coli mit Antibiotika zu behandeln, sondern gezielter zu untersuchen, unter welchen Umständen es zu dieser Mutation kommen könnte, schloss Puschhof.

Quelle: Vortrag von Dr. Jens Puschhof „Das Potenzial von Bakterien in der Prävention und Therapie von Darmkrebs“, im Rahmen des DKFZ-Presseworkshops zum Weltkrebstag 2024, 22.01.2024, Heidelberg


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